Liebe Elena!
Ich
musste neulich an dich denken. An meine Schulzeit auf der
Fachoberschule, an der ich mein Abitur nachgeholt habe. Das ist nun
schon fast sieben Jahre her. Ich kann es kaum fassen. Du gingst in
meine Parallelklasse, warst klein und hübsch. Deine dunklen Haare
mochte ich, und deine Art dich zu kleiden. So lässig und doch so
süß. Ich musste dich unbedingt fragen, woher du deine Schuhe
hattest. Es waren „Vans“ in schwarz, mit weißen, miteinander
verbundenen Totenköpfen. Ich erinnere mich noch, wie ich mutig durch
alle mir bekannten Skater-shops unserer Stadt gelaufen bin, um nach
diesen Schuhen zu fragen. Nicht nur einmal wurde ich von den
Verkäufern komisch angeguckt, denn ich trage keine Skaterklamotten,
ich trage schwarz. Was im Allgemeinen „Grufti“ geschimpft wird –
und ich hasse dieses Wort!
Sie
waren unauffindbar, denn sie waren nicht mehr in der aktuellen
Kollektion, und ich niedergeschlagen. Zumindest gab man mir die
Artikelnummer und Bezeichnung und ich konnte online auf die Jagt
gehen.
Für
rund 50,- Euro bekam ich sie schließlich auf Ebay. Du glaubst gar
nicht, wie froh ich war, auch wenn es damals sehr viel Geld für mich
war (auch heute noch, ich gebe ungern mehr als 30-40 Euro für
Turnschuhe aus).
Doch
anstatt sie dann auch zu tragen, blieben sie im trockenen, zu Hause.
Ich traute mich nicht, sie in der Schule zu tragen, denn ich wollte
ja keine Nachmacherin sein, und hatte Angst vor blöden Kommentaren
meiner Mitschüler.
Heute
weiß ich leider, wie dumm das von mir war. Ohne die Schuhe war ich
auch nicht so cool wie du, und ich wollte auch mal auffallen, weil
ich coole Sachen trage.
Heute
lache ich über diesen Wunsch, damals hat es mich betrübt so zu
sein, wie ich bin, und nicht wie du.
Wie
gerne würde ich dir das heute erzählen und ich wäre gespannt auf
deine Reaktion. Vermutlich warst du damals auch so unsicher wie ich
und wir hätten uns gut zusammen tun können. Das werden wir leider
nicht mehr erfahren. Ich wüsste nicht einmal wo du heute wohnst.
Mich
hat es nach dem Abitur an die Uni verschlagen. Ich hätte mich
großartig fühlen können, es soweit geschafft zu haben. Meine Noten
waren gut, und selbst in Stochastik habe ich mich wacker geschlagen.
Aber
nur weil man an der großen Universität gelandet ist, heißt das
nicht zwangsläufig, dass man sich auch groß(artig) fühlt. Mein
Selbstbewusstsein war nicht mitgewachsen. Im Gegenteil, nach drei
mehr oder weniger erfolgreichen Semestern musste ich für mich
feststellen, die falsche Studienwahl getroffen zu haben. Gefühlte
2/3 meiner Kommilitonen waren eh die Schlausten und die Besten, weil
sie schon fast einen eigenen Hof hatten, und sie nur noch ein paar
Semester an der Uni verbringen müssen und sich bei den Mädels
beliebt zu machen, damit dann mit dem Bachelorabschluss auch die Frau
auf dem Hof einkehren kann. Ja, heute weiß ich, aus den
Agrarwissenschaften und mir sollte keine Freundschaft entstehen.
Und
um dann noch mal zu den Schuhen zu kommen. Eines Tages trug ich sie
an der Uni, und als ich mit ein paar Kommilitonen auf den Weg in den
Chemiehörsaal war, fielen einen meine Sneakers auf. „Wa, was is
dat denn? Was sind das denn für komische Treter?!“
Du
kannst die denken, was mit den Schuhen passiert ist. Sie befanden
sich ab dem Tag wieder im Schuhschrank. Ich bekam nie wieder
sonderlich große Lust sie auszuführen. Bis ich mich vor einiger
Zeit von meinen langweiligen schwarzen Turnschuhen trennen musste.
Sie waren nicht nur kaputt, sondern stanken schon zum Himmel…
Ich
musste sofort wieder an die Worte dieses blöden Kommilitonen denken,
und noch viel mehr an mein blödes Verhalten. Warum habe ich sie
wegen seiner Aussage nur nicht mehr getragen? Wie konnte so jemand,
den ich nicht einmal mochte, so eine Gewalt über mich erlauben? Es
ging schließlich nur um Schuhe, und seine Meinung schien mir so
wichtig, als das er mit dieser Aussage meine ganze Persönlichkeit in
Frage gestellt hätte – oder wenigstens meinen Verstand. „Wie
kann man denn so wat tragen!?“
Ich
war kurz ernsthaft wütend über all das. Aber dann musste ich schon
lachen. Ich habe mich sehr Verändert in der Zeit darauf. Habe den
Sprung von der Universität geschafft und eine Zeit nur nebenbei am
Wochenende gejobbt. Einen anstrengenden und nerven kostenden
Zeitabschnitt hinter mich gebracht und von wollte nur noch von zu
Hause ausziehen. Der Druck war so groß, dass ich mich auch wieder in
meinem alten Ausbildungsberuf beworben hatte. Gleichzeitig auch
erneut an der Fachhochschule.
Direkt
nach dem Abitur hatte ich dafür eine Absage bekommen und ich habe
den Kopf in den Sand gesteckt und mich in das Agrarstudium gestützt.
Heute,
bin ich fast am Ende meines Wunschstudiums an der FH und denke nicht
mehr so stark darüber nach, was andere Leute über mich denken, erst
recht was die Meinung von Kommilitonen angeht, mit denen ich nicht
einmal wirklichen Kontakt habe.
Und
ich trage nicht nur meine geliebten Vans, ich trage noch viel
„merkwürdigerer“ Stiefel. Und es geht mir gut dabei. Keine
bodenlangen Röcke, die sie verstecken könnten. Ich trage meine
Haare wie ich möchte und stehe zu der Musikrichtung die ich gerne
höre. Zur Zeiten des Abiturs war das auch noch anders.
Worüber
ich am meisten glücklich bin, ist die Tatsache, dass ich meine
Meinung kundtun kann. Kundtun und vertreten. Ich stehe zu dem was ich
sage, und wie ich Dinge sehe. Ich war zwar noch nie jemand der gerne
Wendehals gespielt hat, aber so direkt wie heute war ich nie. Ich
kenne meine Schwächen, aber auch meine Stärken. Ich weiß im
Gegenzug zu vielen meiner jüngeren Kommilitonen wo meinen
Kompetenzen enden und kann mich reflektieren. Leider setze ich das
auch bei anderen als gegeben voraus und bin am Ende enttäuscht, wenn
es mal wieder nicht so ist. Aber das lerne ich auch noch!
Heute
bin ich wie du, Elena!
So
wie die Elena, wie sie empfunden habe. Vielleicht hat es bei mir ein
paar Jahre länger gedauert, als bei anderen, aber wer kann das schon
mit Gewissheit sagen?
In
Zukunft möchte ich anderen Menschen helfen, selbstbewusster durch
das Leben zu gehen, und ihren eigenen Weg zu finden. In genau der
Zeit, die es braucht. „Alles hat seine Zeit“ ist ein kluger Satz
einer Freundin von mir. Und so kurz wie er auch ist, so viel Wahrheit
steckt in ihm.
Das wichtigste ist am Ende, ob
man glücklich mit sich selber (geworden) ist. Man kann es nicht der
gesamten Menschheit recht machen, zuletzt mit dem „richtigen“
Schuhwerk an den Füßen. Es wird immer Menschen geben die mich nicht
mögen werden. Sei es wegen Äußerlichkeiten wie der Haarfarbe oder
einfach weil man eine eigene Meinung hat.
Selbstwertgefühl
liegt nicht auf der Straße herum, aber man muss sich schon vor die
Tür trauen, um es zu bekommen. Und ich verspreche dir, Elena, wenn
wir uns doch mal wieder sehen, werde ich dir meine Geschichte
erzählen, denn du bist ein Teil von mir.
Dein Rotkehlchen
Hier seht ihr ein Foto besagter Vans :)
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